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Alphonsine ist 37 Jahre alt und hat eine Tochter namens Grace, weshalb sie von allen einfach Mama Grace genannt wird, in Ruanda ist es nicht nur üblicher, sondern auch höflicher die Mutter mit Namen ihres Kindes anzusprechen. Ihr Ehemann ist arbeitslos und versucht, die Familie von Zeit zu Zeit mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Da dies nicht zum Überleben ausreicht, hat Alphonsine im Eingangsbereich ihres Hauses einen kleinen Lebensmittelladen eingerichtet. So steuert auch sie etwas zum Einkommen der kleinen Familie bei. Doch auch dieser Laden wirft nicht besonders viel Geld ab, weshalb die Familie am Existenzminimum lebt. Alphonsine würde gerne einer besser bezahlten Beschäftigung nachgehen, um diesen Zustand zu ändern. Doch für sie ist es so gut wie unmöglich dieses Ziel umzusetzen, denn sie ist fast immer dazu gezwungen, ihre Zeit zu Hause zu verbringen. Woran das liegt? Grace, ihr einziges Kind, ist körperlich und geistig behindert und das stellt Alphonsine und ihre Familie vor besondere Herausforderungen, unter anderem die ständige Betreuung von Grace durch ihre Mutter Alphonsine.
Wie es ist, ein Kind mit Behinderung in Ruanda zu erziehen, konnte ich in einem Interview mit Alphonsine erfahren.
Wie bereits erwähnt, würde Alphonsine gerne einer besser bezahlten Arbeit außerhalb der eigenen vier Wände nachgehen, doch sie muss ständig zu Hause bei ihrer Tochter sein, um sich um diese kümmern zu können. Selbst wenn Mama Grace das Haus nur für eine Stunde verlassen möchte, stellt dies ein großes Problem dar. Sie ist dann dazu gezwungen, ihre Tochter im Zimmer einzusperren, damit ihr nichts zustoßen kann.
Und warum nimmt Alphonsine Grace dann nicht einfach mit, wenn sie ausgehen möchte? Auch das ist problematisch, denn ihre Tochter ist durch ihre körperliche Behinderung an den Rollstuhl  gebunden und die Gegend, in der die Familie lebt, ist alles andere als barrierefrei. Die ungeteerte Straße, welche zum Haus der Familie führt, ist steil und mit unzähligen Schlaglöchern und Geröll übersät, was den Transport von Grace in ihrem Rollstuhl erheblich erschwert. Außerdem ist sie mittlerweile 12 Jahre alt und so schwer, dass die Mutter ihr Kind nicht mehr umher tragen kann.
Ich habe auf dem Land mittlerweile beobachtet, dass die Kinderbetreuung nicht alleine der Mutter obliegt. Oft wechseln sich Familienmitglieder und Nachbarn mit der Erziehung der Kinder ab, um sich gegenseitig auszuhelfen. Ich erkundige mich daraufhin bei Alphonsine nach Familienmitgliedern oder Nachbarn, die sie vielleicht hin und wieder bei der Betreuung ihrer Tochter entlasten könnten. Alphonsine erklärt mir, es sei nicht einfach mit einem behinderten Kind in Ruanda. Insbesondere sei die ständige Stigmatisierung der ruandischen Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung zu nennen. Alphonsine gibt ein Beispiel: die meisten Menschen würden Grace meiden, da sie speichelt und inkontinent ist, was für sie mit mangelnder Hygiene gleichzusetzen sei. Auf den Straßen deuteten viele Menschen mit dem Finger auf Grace und der Familie werde nachgesagt, dass sie verflucht sei. Selbst ihre eigene Familie hält seit Jahren nur sporadischen Kontakt zu Alphonsine aufgrund ihres behinderten Kindes und stellt keine Hilfe im Alltag der Familie dar.
Alphonsine sagt: “Ein behindertes Kind zu haben, behindert auch dich selbst. Du kannst dich nicht bewegen, wie du willst. Ab einem bestimmten Zeitpunkt stagniert dein Leben.”
Wie bereits erwähnt, würde Alphonsine gerne einer besser bezahlten Arbeit außerhalb der eigenen vier Wände nachgehen, doch sie muss ständig zu Hause bei ihrer Tochter sein, um sich um diese kümmern zu können. Selbst wenn Mama Grace das Haus nur für eine Stunde verlassen möchte, stellt dies ein großes Problem dar. Sie ist dann dazu gezwungen, ihre Tochter im Zimmer einzusperren, damit ihr nichts zustoßen kann.
Und warum nimmt Alphonsine Grace dann nicht einfach mit, wenn sie ausgehen möchte? Auch das ist problematisch, denn ihre Tochter ist durch ihre körperliche Behinderung an den Rollstuhl  gebunden und die Gegend, in der die Familie lebt, ist alles andere als barrierefrei. Die ungeteerte Straße, welche zum Haus der Familie führt, ist steil und mit unzähligen Schlaglöchern und Geröll übersät, was den Transport von Grace in ihrem Rollstuhl erheblich erschwert. Außerdem ist sie mittlerweile 12 Jahre alt und so schwer, dass die Mutter ihr Kind nicht mehr umher tragen kann.
Ich habe auf dem Land mittlerweile beobachtet, dass die Kinderbetreuung nicht alleine der Mutter obliegt. Oft wechseln sich Familienmitglieder und Nachbarn mit der Erziehung der Kinder ab, um sich gegenseitig auszuhelfen. Ich erkundige mich daraufhin bei Alphonsine nach Familienmitgliedern oder Nachbarn, die sie vielleicht hin und wieder bei der Betreuung ihrer Tochter entlasten könnten. Alphonsine erklärt mir, es sei nicht einfach mit einem behinderten Kind in Ruanda. Insbesondere sei die ständige Stigmatisierung der ruandischen Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung zu nennen. Alphonsine gibt ein Beispiel: die meisten Menschen würden Grace meiden, da sie speichelt und inkontinent ist, was für sie mit mangelnder Hygiene gleichzusetzen sei. Auf den Straßen deuteten viele Menschen mit dem Finger auf Grace und der Familie werde nachgesagt, dass sie verflucht sei. Selbst ihre eigene Familie hält seit Jahren nur sporadischen Kontakt zu Alphonsine aufgrund ihres behinderten Kindes und stellt keine Hilfe im Alltag der Familie dar.
Alphonsine sagt: “Ein behindertes Kind zu haben, behindert auch dich selbst. Du kannst dich nicht bewegen, wie du willst. Ab einem bestimmten Zeitpunkt stagniert dein Leben.”
Ich möchte diese Worte besser verstehen. Ich selbst bin in Deutschland geboren und  aufgewachsen und kann diese Aussage nur schwer nachvollziehen, wurde doch vor allem in letzten Jahren viel für die Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Bundesrepublik umgesetzt. Keine Mutter in Deutschland muss sich in dieser Weise durch ein behindertes KInd selbst behindert fühlen, gibt es doch mittlerweile unzählige Hilfsangebote von Menschen mit Behinderung und deren Familien.
In Ruanda gestaltet sich das ganze jedoch etwas anders, vor allem für Familien auf dem Land. Die Hilfsangebote, wie z.B. inklusive Schulen, medizinische Rehabilitation oder Beratungszentren, sind zum Großteil in der Stadt angesiedelt und somit für die armen Familien auf dem Land nur schwer erreichbar.
Ich möchte gerne mehr darüber erfahren, wie Alphonsine es all die Jahre geschafft hat, ihr behindertes Kind trotz dieser vielen Herausforderungen zu erziehen. Mama Grace beginnt damit, mir die Geschichte ihrer Tochter zu erzählen.
Grace kam als ganz “normales” Kind zur Welt, so ihre Mutter. Nach sechs Monaten wurde Grace allerdings sehr krank. Sie hustete die ganze Zeit und wurde schließlich ins Krankenhaus gebracht. Bei Grace wurde eine schwere Grippe diagnostiziert und sie musste insgesamt drei Monate stationär behandelt werden und im Krankenhaus um ihr Überleben kämpfen. Als sie schließlich im Alter von neun Monaten aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war nichts mehr wie zuvor. Alphonsine konnte bei ihrem Kind eine erhebliche Entwicklungsverzögerung ausmachen. Normalerweise kann ein Baby diesen Alters bereits robben oder gar krabbeln, sitzen sowie gezielt nach Gegenständen greifen. Grace jedoch ist mit neun Monaten zu nichts von all dem in der Lage.
Als Grace schließlich ein Jahr alt war, bekam Alphonsine von einer Kampagne für Kinder mit Behinderung mit, die dabei helfen sollte auch armen Familien den Zugang zu inklusiven Hilfsangeboten zu ermöglichen. Alphonsine legte all ihre Hoffnung für Grace in diese Kampagne und registrierte ihre Tochter offiziell als Teilnehmerin für das Programm. Alphonsine wartete einige Monate, bis sie feststellte, dass nichts passierte. Bis zum heutigen Tag hörte sie nichts mehr von der anfangs so viel versprechenden Kampagne.
Alphonsine fühlte sich allein gelassen und war verzweifelt. So verzweifelt, dass sie mit ihrer Tochter aus der Not heraus einige traditionelle Heiler aufsuchte, war doch sonst bisher niemand dazu in der Lage gewesen Grace zu helfen.  Doch auch die Heiler taugten nichts. Sie meinten, Grace sei schlicht besessen und man müsse ihr den Teufel austreiben, danach sei alles wieder gut. Alphonsine duldete den Exorzismus an der eigenen Tochter nicht, sie war genervt von den Lügenmärchen der sogenannten Heiler und stempelte sie schließlich allesamt als “teure Trickser” ab.
Nach fünf Jahren ohne Hilfsmaßnahmen, ohne Forderung oder Förderung von Grace, erfuhr Alphonsine durch eine Freundin vom Ubumwe Community Center (UCC) in Gisenyi. Ubumwe bedeutet „Einheit oder Zusammengehörigkeit“. Das UCC ist ein Ort, an dem Menschen mit Behinderungen Fähigkeiten erlernen können, die es ihnen ermöglichen, ein selstbständiges und nachhaltiges  Leben aufzubauen (vgl. Homepage ubumwecommunitycenter.org). Das UCC besuchte Grace schließlich für zwei Jahre in unregelmäßigen Abständen. Die Familie lebte auch damals schon in dem Haus auf dem Land, weshalb der Transport von Grace eine große Herausforderung für die Familie darstellte. Die Kosten für die lange und anstrengende Fahrt mit dem Bus konnten nur gelegentlich aufgebracht werden. Deshalb erlernte Alphonsine im Center Techniken, um ihre Tochter in Form von regelmäßigen Massagen auch von zu Hause aus zu unterstützen. Das ging eine Zeit lang gut und Mama Grace konnte nach vielen Jahren die ersten Erfolge in der Entwicklung ihres Kindes feststellen. Durch die regelmäßigen Massagen wurde Grace zunehmend kräftiger und zum ersten Mal in ihrem Leben war sie fähig zu sitzen und mit Hilfsmitteln auch zu stehen.
Dann ereilte Alphonsine jedoch der nächste Schicksalsschlag. Sie erlitt kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes eine Fehlgeburt. Die Folgen für ihr Leben und auch für das von Grace waren gravierend. Mama Grace war nach der Fehlgeburt so schwach, dass es ihr nicht mehr möglich war, die Massagen für ihre Tochter durchzuführen und auch die Termine im UCC konnten aufgrund des schwierigen Transports nun nicht mehr wahrgenommen werden. Grace war mittlerweile sieben Jahre alt und die Fortschritte in ihrer Entwicklung, an der alle hart gearbeitet hatten, bildeten sich allmählich wieder zurück.
Zur selben Zeit entstand in der Nähe ihres Hauses ein weiteres Projekt für Kinder mit Behinderung auf dem Land vor Gisenyi. Das Projekt heißt „Love and Care - Jyambere Mwana“, was sich in „Liebe und Fürsorge - Kinder zuerst“ übersetzen lässt. Auch Mama Grace erfuhr schließlich von dem nur etwa drei Kilometer von ihrem Wohnhaus entfernten Projekt. Durch das unwegsame Gelände war es ihr dennoch weiterhin kaum möglich, ihr Kind zu dem neuen Center zu bringen. Sie bat Eric, den Leiter der Organisation “Jyambere Mwana”, schließlich um Hilfe. Dieser kam mit der Idee auf, Hausbesuche für die Klienten einzurichten, die Probleme haben das Center fußläufig zu erreichen. Seitdem ist Grace Teil des sogenannten “Homevisting-Program”.
In den letzten fünf Jahren konnte das Homevisiting-Program einige Fortschritte für Grace vermerken. Jyambere Mwana übernimmt unter anderem die jährlichen Kosten für die Grundversicherung von Grace, sodass sie das öffentliche Krankenhaus aufsuchen kann, wenn es ihr nicht gut geht. Außerdem konnte durch die regelmäßigen Hausbesuche ein Beitrag dazu geleistet werden, die Wahrnehmung und Einstellung zu Menschen mit Behinderung positiv zu verändern. Einige Nachbarn haben mittlerweile die Erkenntnis  gewonnen, dass es normal ist Menschen mit Behinderung zu besuchen, mit ihnen befreundet zu sein und sie bei Bedarf auch zu unterstützen. Seit geraumer Zeit kommen des öfteren Nachbarn zu Besuch und bieten ihre Hilfe an, wenn sie können. Des Weiteren hat Alphonsine einige Freundschaften zu anderen Müttern von Kindern mit Behinderung entwickeln können. So kommt z. B. einmal die Woche eine  befreundete Mutter zu Besuch und bringt ihr Kind mit. Die Physiotherapie für beide Kinder findet mittlerweile einmal wöchentlich im Hause Mama Grace statt.
Alphonsine sagt: “Ich bin sehr glücklich, dass ich durch die Organisation “Love and Care - Jyambere Mwana” Kontakte zu vielen anderen Müttern mit behinderten Kindern auf dem Land aufbauen konnte. Ich zähle sie heute zu guten Freundinnen und habe gelernt, dass ich nicht alleine mit meinen Problemen und Herausforderungen bin.”
Alphonsine fügt hinzu, dass trotz all der Fortschritte vor allem in medizinischer Hinsicht noch großer Nachholbedarf bestünde, um Grace wirklich gerecht werden zu können. Sie ist der Meinung, dass ihre Tochter unbedingt das nationale Krankenhaus, dass sich auch auf die Behandlung von Menschen mit Behinderung spezialisiert hat, aufsuchen müsse. Die Grundversicherung reicht für diese spezielle medizinische Rehabilitation allerdings nicht aus. Sie müsste die Mehrbeträge aus eigener Tasche zahlen, dafür reicht ihr Geld aber nicht aus. Alphonsine ist sehr unglücklich über diese Tatsache. Sie sagt, die Physiotherapie sei zwar eine gute „Erste Hilfe“, aber Grace bräuchte ein viel intensiveres medizinisches Angebot.
Alphonsine meint: “Wenn Grace jetzt weiter in diesem jungen Alter ausreichend gefördert wird, dann wird sie als Erwachsene zu vielem fähig sein.” Mama Grace hofft vor allem, dass ihre Tochter eines Tages wieder laufen, so wie sie es schon tat, als sie damals im UCC regelmäßig gefördert wurde.
Alphonsine hat die Hoffnung für ihre Tochter bis heute nicht aufgegeben. Sie ist sehr stolz auf Grace und auf das, was sie bis heute schon erreicht hat. Alphonsine sagt, ihre Tochter über einen “klaren Geist” und ein Bewusstsein für ihre Umgebung und Mitmenschen. Beispielsweise könne Grace hören und auf ihr Umfeld positiv reagieren. Das glaube ich Alphonsine direkt, denn während des Interviews saß Grace gegenüber von mir, hielt viel Augenkontakt und wenn ich ihren Namen nannte oder ihr zuzwinkerte, dann lachte sie aus tiefstem Herzen. Alphonsine lachte dann auch und fügte hinzu: “Siehst du, Grace liebt es in Gegenwart von anderen Menschen zu sein. Sie ist sehr sozial.” Und ich antworte ihr: “Ja, das kann ich sehr deutlich sehen”.
Nach dem Interview bin ich sehr glücklich und stolz auf Alphonsine und Grace. Trotz der vielen Herausforderungen und Hindernisse, hat die Familie schon viel erreichen können. Auch “Love and Care - Jyambere Mwana” leistet bis heute einen guten Beitrag zur Inklusion von Grace und ihrer Familie. Besonders die Wahrnehmung der Nachbarschaft von Menschen mit Behinderung konnte in den letzten Jahren deutlich zum Positiven verändert werden.
Auch wenn es noch einige Baustellen auf ihrem weiteren Lebensweg gibt, bin ich von Alphonsines Stärke und der Zuversicht, die sie ihrer Tochter Grace entgegenbringt, zutiefst  beeindruckt.


Interview: Deborah Sieger
Dolmetscher: Philip Benimana
Fotograf: David Eckle
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